Colin Goldner: Dalai Lama - Fall eines Gottkönigs
Alibri-Verlag, Aschaffenburg, 1. Auflage, 1999, 39DM
ca. DIN A5, 456 Seiten mit Abbildungen des Dalai Lamas aus verschiedenen Jahrzehnten.
ISBN 3-932710-21-5

Diese zeitlich lineare Biographie über den Dalai Lama wird durch zahlreiche Exkurse zu verschiedenen dabei auftretenden Aspekten ergänzt. Das nahezu ausschließlich positiv wahrgenommene Bild dieses Menschen wird hierin als zumindest trügerisch aufgedeckt. Goldner gibt dem Leser ein wenig Geschichte Tibets an die Hand, zeigt in einem kurzen Überblick die Positionierung des tibetischen Buddismus im Vergleich zu den anderen Ausprägungen dieser Religion und beschreibt einige Riten des “Gelbmützenordens”, dem der Dalai Lama entstammt. Eine dieser Riten ist die Art und Weise, wie der jeweils nächst Dalai Lama ausgewählt wird, womit auch der wesentliche Teil der chronologischen Beschreibung des Lebens des jetztigen 14. Dalai Lamas in früher Kindheit beginnt.
Der buddistische Glaube an die Wiedergeburt ermöglicht es den Machthabern ein beliebiges ihnen genehmes Kind auszuwählen und als neue Inkarnation des letzten Dalai Lama auszugeben. Das geringe Alter ermöglicht eine Indoktrination mit den Lehren, die nach den Beschreibungen Goldners sehr weit von einer aufgeklärten Weltsicht entfernt sind und wenig mit Demokratie, Gleichberechtigung und Gewaltfreiheit zu tun haben. Das System trägt sich bislang dadurch selber, daß die späteren Mönche bereits im frühen Kindesalter in ein Kloster “gegeben”, dort im Systemsinne erzogen werden und später diese Rolle der Erzieher selber übernehmen. Bedeutsam dabei ist, daß vor der (Re-)Annektierung Tibets durch die Chinesen laut Goldner sehr große Anteile der Bevolkerung in Klöstern lebten und außerhalb derselben kaum Bildung möglich war. Die chinesische Regierung stellt, vermutlich auch aufgrund der Religionsabneigung des Kommunismus, eine breitere Schulbildung zur Verfügung. Diese Maßnahme hat deutlich das Potential dem “Gelbmützenorden” die Grundlage ihrer Machterhaltung zu entziehen und liefert schon alleine deswegen einen Grund, alle, die sich vom zweifelhaften Image des Dalai Lama faszinieren lassen in die Diffamierung der chinesischen Herrschaft in Tibet miteinstimmen zu lassen.
Goldner spricht keineswegs das chinesische Vorgehen in Tibet frei von Menschenrechtsverletzungen und vielen anderen Kritikpunkten, zeigt jedoch vielzahlige gute Begründungen auf, die mehr als zweifeln lassen, ob eine Herrschaft der Lamas besser für die Bevolkerung wäre.
Viele populäre Ansichten über den Dalai Lama und die “Free Tibet”-Szene passen nicht mehr zu den im Lichte der Hintergrundinformationen Goldners sichtbar werdenden Details. Beispielsweise wie es zur Verleihung des Friedensnobelpreises für “seine Heiligkeit” kam oder wie bedenklich aus westlicher Sicht viele Gesichtspunkte der Religionsanschauung sind, die wohlweislich im Westen nicht in aller Fülle verbreitet wird, insbesondere in Bezug auf die Stellung der Frau.

Insgesamt ein interessantes Buch, das glaubhaft macht, daß viele hartnäckige Un- und Halbwahrheiten über den Dalai Lama verbreitet sind. Im Laufe des Buches läßt  sich Goldner jedoch zunehmend zu einem polemischen Stil hinreißen, der dem ansonsten schlüssigen und zielgruppenangemessen populärwissenschaftlich seriösem Vorgehen einige Flecken verleit.